Worin sich der Streit um den richtigen Umgang mit der Corona-Krise mit einer Mediation ähnelt

Unfreiwillige Mediationsübung: Perspektivwechsel
zum Umgang mit der Corona-Krise

„Das ist alles von langer Hand geplant.“ „Hier geht´s nur um die Pharmaindustrie, die mit neuen Impfstoffen Milliardengeschäfte plant.“ „Reine Medienpanik – die Krankenhäuser sind leer!“

Nicht nur, aber vor allem die sozialen Netze werden seit Wochen mit solchem Unfug geflutet. Leider kochen auch in vielen Gesprächen, die ich im Freundeskreis führe, gelegentlich derartige, meines Erachtens absurde Ansichten zur aktuellen gesellschaftlichen Situation hoch.

Nun wirken bestimmte Meinungen nur in meinem Wertekompass absurd – mein Gegenüber bringt, zumeist recht überzeugend vorgetragen, allerhand Argumente, gestützt von (wiederum meines Erachtens unseriösen) Quellen, die das derzeitige Geschehen anders interpretieren, als der (in derlei Gespräch häufig verächtlich abgelehnte) Mainstream. Von den Medien ist dann die Rede, die, staatlich gesteuert, doch nur Instrumente einer auf Gier basierenden Politikergilde sind.

Offen gestanden: Das bringt mich zur Weißglut. Ich verstehe nicht, wie man zu solchen Schlüssen kommen kann. Und noch immer arbeite ich an einer Haltung dazu. Schließlich geht es darum, andere, zum Teil völlig konträre Meinungen auszuhalten, einen Zugang zu finden, aufgrund dessen das Gespräch in konstruktive, bestenfalls beidseitig gewinnbringende Bahnen gelenkt werden kann.

Ich versuche es zuerst einmal mit Zuhören und damit, mir zu vergegenwärtigen, wie diese – aus meiner Sicht – extreme Haltung zu diesem Menschen passt. Was steckt dahinter? Gibt es eine Ebene, die stattdessen nach Aufmerksamkeit ruft? Wut? Angst? Wovor? Verlust von Privilegien? Hilflosigkeit? Kontrollverlust? Das alles begegnet mir, wenn mein Gegenüber bereit ist, tiefer zu graben. Ansonsten verharren wir im Narrativ, auch das kommt vor und kann zumindest dazu betragen, dass sich der andere gesehen fühlt.

Einmal mehr wird mir nach solchen Gesprächen bewusst, wie sehr meine Arbeit, die Mediation, die Medianten fordert. Nicht nur braucht es einen Willen zum Perspektivwechsel, um überhaupt eine Mediation in Angriff nehmen zu können. Dieser Sichtweisenwechsel, zu dem ich die Parteien zwar motivieren und auch führen kann, bedarf sodann erheblicher Geduld, Empathie und Selbstbeherrschung, wenn die Meinungen erst einmal frei heraus auf den Tisch prasseln. Höflich bleiben, den anderen ausreden lassen und nicht einmal die Augen rollen – da mahlt so mancher Kiefer.

Klienten, die diese Situation durchlaufen und es schaffen, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, haben meinen allergrößten Respekt. Denn diese Lösung besteht nicht automatisch in einem Halbe-Halbe. Es kann genauso gut sein, dass einer mehr bekommt – oder weniger von seinem Ziel abrücken muss. Mediation ist für alle Beteiligten intensive Arbeit – nicht nur für mich.

Ich schätze meine Freunde, uns verbinden viele Lebensjahre. Die Gräben, die durch die unterschiedlichen Haltungen zur Corona-Krise und dem gesellschaftlichen Umgang mit ihr entstehen, sind für mich eine Herausforderung, vermutlich geht es Ihnen in derartigen Auseinandersetzungen ähnlich.

Umso befriedigender das Gefühl, wenn man endlich einen gemeinsamen Nenner, und sei er noch so klein, gefunden hat, an dem man arbeiten kann – auch in der Mediation. Er hat schon manche Sitzung zum Erfolg geführt.